|
...an Politz an de Elbe werden immer weniger.
|
|
|
"Ein etwas älterer Bub aus dem Nachbarhaus spielte im Frühjahr 1945 mit einer Handgranate, die er in einem der Militärlastwagen gefunden hatte, die in unserer Straße abgestellt
waren und zündete sie. Seinen kleinen Körper hatte man auf den Rasen des Nachbarhauses gelegt und mit einem weißen Tuch zugedeckt. Vom Balkon aus habe ich immer wieder hinabgeschaut,
ich konnte es nicht begreifen.
Wenig später stützte mein Großvater die Kellerdecken unseres Hauses Verbindungsstraße 311 mit Holzbalken ab.
Als eines Tages eine Sirene ertönte nahm meine Mutter ein kleinen Koffer, der schon lange im Wohnzimmer stand, und wir gingen in diesen Keller. Den Grund sollte ich bald erfahren.
Durch ein geöffnetes Kellerfenster drang ungewohnter Motorenlärm. Er kam immer näher, wurde immer lauter und stärker. Die Fensterscheiben begannen zu fibrieren, die Wände
dröhnten bald so wie die Bombenflugzeuge, die über unsere Gemeinde und unser Haus flogen. Wir kauerten starr vor lauter Angst in einer Ecke. Großvater blickte sorgenvoll seine Abstützung an.
Wird sie halten? Der Flugzeuglärm entschwand in der Ferne. Man hatte uns noch einmal verschont. Wann werden sie wiederkommen, war die sorgenvolle Frage."
|
Herbert Pietschmann (*1940), früher Politz 311, Verbindungsstr. |
|
|
|
"...an unsere Ausweisung oder die "humane Umsiedlung:
An einem sonnigen Junitag 1945 spielte ich im Hof, als plötzlich zwei Männer mit Gewehren hereinliefen. "Wo ist Mann?" riefen sie laut und öfter. Meine Großmutter kam aus der Haustür.
Was sie zu ihr sagten konnte ich nicht verstehen. Plötzlich lief sie ganz aufgeregt zur Straße, auf der schon viele Leute wie verstört auf und ab liefen. Sie sprach mit einer anderen Frau.
Nach einiger Zeit kam meine Mutter mit meinem Großvater gelaufen. Sie waren im Wald bei der Holzarbeit, die andere Frau hatte sie geholt. Hastig wurden Sachen eingepackt, in Rucksäcke und Koffer.
In meinem kleinen Rucksack war mein Teddybär.
Bald darauf gingen wir wie so viele andere zu einem Sammelplatz, wo unsere Gepäck zum erstenmal "gefilzt" und teilweise beschlagnahmt wurde. Gleichzeitig begann die Plünderung der verlassenen Häuser...
...unser "Sonderzug" hielt irgendwo, alle mußten Aussteigen. Der Bahnhofsplatz war voller Menschen, die ihre bescheidene Habe neben sich stehen hatten. Heute weiß ich, es war der Bahnhofsplatz
in Velvary, etwa 60 km westlich von Prag. Auch Pferdefuhrwerke standen sehr viele am Platz. Wir bestiegen einen Pritschenwagen, Großvater unterhielt sich mit dem Kutscher in einer Sprache, die ich nicht
verstand. Wir fuhren über den großen Marktplatz in Velvary. Die Fahrt endete in Neumercice, einem kleinen Bauerndorf. Meine Mutter und meine Großeltern mußten bei dem Bauern der uns abgeholt hatte,
fast ein Jahr Zwangsarbeit leisten, förmlich bei Brot und Wasser, ohne Bezahlung und allen möglichen Drangsalierungen und Drohungen. Mein Großvater bezeichnete später diesen Aufenthalt als die
schlimmste Zeit seines Lebens. Ich erinnere mich, wie bedrückt wir waren, als wir erfuhren, dass sich Bekannte aus unserem Ort das Leben genommen hatten.
Wie glücklich waren wir, als es im Sommer 1946 plötzlich hieß: "Alles zusammenpacken, es geht wieder nach Hause".
Wieder in Tetschen angekommen, gab es im Lager lediglich "Marscherleichterung". Übrig blieb ein halbgefüllter Rucksack, mein kleiner Rucksack und das, was wir am Leibe trugen.
Nicht zu vergessen die weiße Armbinde, die auch ich tragen mußte. Bald setzte sich ein langer Güterzug, teils mit offenen Waggons, in eine unbekannte Zukunft in Bewegung.
Als unser Transportzug Böhmen verließ und langsam nach Bayern rollte, warf auch ich meine Armbinde auf den Bahndamm. Heute weiß ich, daß dies am 16. Mai 1946 war.
In Regensburg, wo der Zug geteilt wurde, wechselten wir den Güterwagen, um zu unseren Krischwitzer Verwandten zu kommen. In Straubing warteten bereits amerikanische Militärlastwagen die mit uns in
die Nacht hinaus fuhren. Ein Gasthaussaal in Geltolfing war unsere und vieler anderer Vertriebener erste Bleibe. Er konnte nur über eine wacklige Außentreppe erreicht werden, der Zugang durch das
Haus war uns verwehrt. Im Hof war eine Gulaschkanone in Betrieb, aus der wir notdürftig versorgt wurden. Im Herbst 1946 stieß mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft zu uns. Ich habe ihn nicht wiedererkannt.
Ich kroch unter die Zudecke meines Feldbettes und weinte bitterlich."
|
Herbert Pietschmann (*1940), früher Politz 311, Verbindungsstr. |
|
|
|
|
|
|
"Die Zeit vor dem 8. Mai 1945
Da alle wehrpflichtigen deutschen Männer an der Front waren, fehlten überall im Reich Arbeitskräfte. Sie wurden durch ausländische Männer und Frauen ersetzt, die man Fremdarbeiter nannte.
In den drei Politzer Fabriken und sonstigen Gewerbezweigen arbeiteten auch kriegsgefangene Soldaten, vor allem aus der damaligen Sowjetunion und aus Frankreich. Da die Fremdarbeiter aus allen besetzten Gebieten
stammten, herrschte in Politz nach Feierabend ein babylonisches Sprachgewirr. Ich habe von einem französischen Kriegsgefangenen einige Worte Französisch und von einem griechischen Jungen, der 2 Jahre älter war als ich,
etwas Griechisch gelernt. Nach dem 8. Mai musste ich auch noch Tschechisch lernen.
Nach der Ankunft und dem Aufenthalt der zivilinternierten Fremdarbeiter war das Eintreffen der Flüchtlinge aus Oberschlesien, die mit Pferdewagen unterwegs waren, das zweite große Ereignis.
Dies war entweder im Dezember 1944 oder aber erst im Januar 1945. Ich erinnere mich an einige, deren Heimatort Rainersdorf, Kreis Kreuzburg war.
Das dritte Ereignis das mir in Erinnerung geblieben ist, waren die vor der Roten Armee nach Westen zurückweichenden deutschen Truppenteile. Die teilweise bespannten bzw. motorisierten Einheiten fanden an der Elbe
nur eine kleine Personenfähre vor. Sie ließen ihre Pferde und größeren Fahrzeuge am rechten, also östlichen Elbufer zurück, setzten über und zogen zu Fuß weiter. Auf den Elbwiesen liefen abgesattelte bzw.
ausgespannte Militärpferde frei und herrenlos umher. Meine Spielkameraden und ich schnappten uns solche Pferde und waren für einige Tage stolze Besitzer eines Reitpferdes. Eines Tages waren die Pferde verschwunden.
Ich vermute dass Bauern aus der Umgebung die Tiere eingefangen hatten.
Das vierte große Ereignis nicht nur für uns Kinder war der Bau einer Pontonbrücke über die Elbe in Neschwitz durch eine Pioniereinheit. über diese Brücke hätten auch schwere Fahrzeuge und Panzer fahren können.
Leider wurde die Brücke nicht fertig, da die Pioniere abgezogen wurden. Das fehlende Mittelteil hätte mit Hilfe von Sturmbooten eingeschwommen werden müssen. Zu Beginn des Brückenbaus etwa ab März sind wir Kinder
oft in den Sturmbooten mitgefahren. Es kostete uns einige Zigaretten für den Sturmbootführer.
Etwa ab Anfang April 1944 überflogen englisch-amerikanische Bomberverbände in etwa 8 000 m Höhe das Elbetal und somit auch Politz, um ihre Bombenlast vor allem über Dux und Brüx abzuwerfen.
Dort befanden sich die Hydrierwerke des Braunkohletagebaus, in denen aus Braunkohle das für die Wehrmacht dringend notwendige Benzin hergestellt wurde. Vom Frühjahr an gab es am Vormittag sehr oft "Fliegeralarm".
Wir mussten dann fluchtartig die Schule verlassen und schnell nach Hause laufen. Vor den Bomberverbänden hatten wir keine Angst. Wenn deutsche Jagdflugzeuge angriffen wurden sie oft von den Begleitjägern der
Engländer und Amerikaner abgeschossen. Diese Luftkämpfe konnten wir mehrmals in der Ferne beobachten. Die Bomber warfen während des Überfluges "Lametta" ab. Diese kleinen Büschel aus
Stanniolpapier sollten die Radargeräte der deutschen Flugabwehr stören. Wir Kinder mussten diese Lamettabüschel einsammeln. Im letzten Kriegsjahr und den letzten Kriegsmonaten ist viel Unterricht ausgefallen. Wir blieben aber zum Glück vor Bomben verschont."
|
Heinz Schicktanz (*1933), früher Politz 195, Fabrikstr. |
|
|
|
"Der 8. Mai und die Zeit danach.
An diesem Tag erfuhren wir aus dem Radio, dass der Krieg nun wirklich zu Ende ist und die deutschen Truppen an allen Fronten bedingungslos kapituliert hatten. Die Politzer Zivilinternierten und Kriegsgefangenen
versuchten schnell nach Hause zu kommen. Russische Zivilinternierte aus mehreren Nachbardörfern hatten sich zusammengeschlossen und zogen zu Fuß nach Hause. Ihr geringes Hab und Gut und die Kleinkinder
hatten sie auf kleinen Leiterwagen, Alte und Kranke hinkten hinterher. Sie führten sogar einige Kühe mit, wahrscheinlich um die Kinder mit Milch versorgen zu können.
Wenige Tage nach der Kapitulation machte eine berittene polnische Einheit für zwei Tage Station in Politz. Man hörte nichts von Racheakten oder sonstigen Übergriffen.
Das war eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, was die deutsche Wehrmacht in Polen alles angerichtet hatte.
Kaum waren die Polen weiter gezogen, als ein Lazarettzug mit teilweise schwer verwundeten deutschen Soldaten bei uns abgestellt wurde. Unter den Soldaten befanden sich auch einige Zivilisten.
Mir fiel ein etwa neunjähriger Junge auf, dem man beide Beine unterhalb der Kniee amputiert hatte. Er hatte seine Eltern verloren. Die Verwundeten lagen dicht gedrängt in überdachten Güterwagen
und wurden der deutschen Zivilbevölkerung zur Versorgung überlassen. Die Menschen strömten täglich auch aus entfernten Ortschaften zum Lazarettzug um die Soldaten mit Nahrung, Kleidung, Medikamenten
und notwendigen Gebrauchsgegenständen zu versorgen. Sie kamen auch von der anderen Elbeseite. Meine Mutter und ich gingen täglich zu einer kleinen Gruppe von Soldaten, die alle aus Österreich waren.
Ein ganz junger mit nur leichten Gesichtsverletzungen kam aus Wien und freute sich schon darauf, in seinem kleinen Garten vor dem Haus wieder Himbeeren pflücken zu können. Ob er wohl bald zu Hause war?
Eines Tages sah ich, wie einem stark abgemagerten Soldaten das schon sehr dunkle, rechte Bein unter freiem Himmel amputiert wurde. Ein Sanitäter nahm das abgetrennte Bein und vergrub es zwischen zwei Schienensträngen.
Ein etwa 18 Jahre alter Soldat war von Kopf bis Fuß eingegipst. Er wimmerte den ganzen Tag leise vor sich hin, es muss für die anderen Verwundeten eine sehr starke Nervenbelastung gewesen sein.
Kaum war der erste Lazarettzug weg, kam nach nur zwei Tagen der nächste, der auch der Obhut der deutschen Bevölkerung überlassen wurde. Bald kam ein dritter Zug an, mit dem die einquartierten Flüchtlinge aus Oberschlesien
in offenen Güterwägen abtransportiert wurden. Niemand von ihnen wusste wohin die Fahrt gehen sollte, sie selbst hofften, es würde wieder zurück nach Oberschlesien gehen.
Bald wurde ein kleiner russischer Militärzug für einige Tage bei uns abgestellt. Außer den Soldaten und etwa acht Soldatinnen sah ich auch noch zwei uniformierte Jungen in meinem Alter.
Wenn sie uns sahen, nahmen sie eine Art Siegerpose ein und hielten ihre Gewehre stolz in die Höhe. Der Zug führte auch Militärfahrzeuge, einige leichte Geschütze, einen Wagen mit Pferden, einen mit Heu und Stroh
sowie einige Motorräder mit. Nach einer kleinen Bootsfahrt mit meinem Cousin halfen uns die Soldatinnen beim Verladen des eleganten Rennbootes (Einer mit Steuermann) auf den einachsigen Bootswagen.
Die Soldatinnen waren sehr freundlich zu uns und hatten den kurzen Aufenthalt in Politz dazu genutzt, auf unserem Anlegesteg ihre Leibwäsche zu waschen.
Das Boot hatten meine Eltern für meinen Bruder gekauft, als die Firma Stöhr, in der mein Vater arbeitete, ihr Bootshaus für griechische Fremdarbeiterinnen räumen musste. Es waren Frauen zwischen 20 bis etwa 60
Jahren und deren Kinder jeglichen Alters.
Einige Tage nach der Bootsfahrt schwamm ich mit einem Freund meines Bruders über die Elbe, um ein Wehrmachtsauto zu besichtigen. Der grausige Zufall wollte es, dass wir am anderen Ufer direkt neben einer Wasserleiche ankamen.
Es war ein deutscher Soldat, der sicher bei einem der zahlreichen Racheakte der Tschechen in Prag, vielleicht auch in Aussig, ums Leben kam. Zu dieser Zeit trieben sehr viel Leichen in der Elbe, die wohl alle das selbe Schicksal
erlitten hatten, Soldaten als auch Zivilisten. Unser Fährmann erhielt den strengen Befehl, die Toten aus dem Wasser zu ziehen, damit man im nahen Sachsen nicht merken sollte, wie die Tschechen in den ersten Tagen nach
Kriegsende mit den Deutschen verfahren sind. Das war die letzte Elbüberquerung meines Lebens. Uns war die Lust dazu gründlich vergangen. Wir schwammen nicht mehr zurück. Wir nahmen die Fähre und bezahlten später.
Auch auf das Auslegen der Aalschnüre und das Fischegreifen verzichteten wir von diesem Tag an. Im Sommer 1945 fiel die geliebte Badesaison vollständig aus. Es wäre unsere letzte gewesen!"
|
Heinz Schicktanz (*1933), früher Politz 195, Fabrikstr. |
|
|
|
|
Viele Politzer haben diese wie auch viele andere Erinnerungen in ihre neue Heimat mitgenommen. Alljährlich treffen sie sich mit Heimatfreunden aus Krischwitz und Neschwitz am Heiligenhof in Bad Kissingen. |
Alle Bilder lassen sich durch einen Klick vergrößern.
|
© 2003 - 2009 Werner Pietschmann Grafik-Design & Illustration
Impressum
Disclaimer
|
> X-Stat.de
|